Windel Winni  

 

 

 

Am Ofen

"Schwesterchen, was machst denn du?"
"Brüderchen, ich friere. Huh.
Nase, Hände, beide Ohren,
hab ich sicherlich erfroren.
Nach dem Eislauf, ach wie gut,
so ein warmer Ofen tut."
"Schwesterchen, war es denn fein?
Läufst du schon auf einem Bein?
Kannst du schon allein anschnallen?
Bist du auch nicht hingefallen?"
"Lass das dumme fragen sein.
Schenk mir lieber Kaffee ein."

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Kücken
Das Märchen vom Storch

Tret' ich neulich im Dämmerschein
ganz leis' ins Kinderzimmer ein;
hat' schnell mir ein Lauschereckchen erwählt,
wollt' hören, was sich mein Pärchen erzählt;
und wie ich stehe und wie ich horch,
da richtig, kommt die Geschichte vom Storch!
"Nein, Liesel", spricht Hans mit viel Bedacht,
"der Storch hat uns beide nicht gebracht,
der hat sich gar nicht um uns gequält,
Mama hat es mir neulich selber erzählt,
das mit dem Storch sind alles nur Sagen,
dass er uns in seinem Schnabel getragen,
und dass er die Mutter ins Bein gebissen,
na, davon müsste sie doch auch etwas wissen,
und dass wir vorher lagen im Teich,
's ist alles nicht wahr, ich dacht' es mir gleich.
In Wirklichkeit ist es viel schöner, Du
da liegt so ein Kindlein ganz in Ruh',
so lang es noch zart ist und winzig klein,
an Mutters Herzen, du, das ist fein.
Die Mutter muss das Kindlein hegen,
sie darf sich nur ganz sacht bewegen,
damit sich's keinen Schaden tut,
so lang's an ihrem Herzen ruht.
Allmählich wird das Kindlein groß,
es löst sich von der Mutter los,
die leidet dabei viele Schmerzen,
es trennt sich ja von ihrem Herzen.
Doch schön ist's, ist das Kind erst da,
dann freut sie sich und schenkt's Papa!" -

Liesel hat schweigend zugehört,
den großen Bruder nicht gestört,
jetzt hebt sie zu ihm das kleine Gesicht,
und ernsthaft sie die Worte spricht:
"Eins kann ich dabei nicht versteh'n,
warum muss das immer der Mutter gescheh'n,
kann das Kind nicht Vater am Herzen liegen,
können Papas keine Kinder kriegen?"
"Ach nein", spricht Hans der kluge Mann,
das geht doch ganz und gar nicht an,
sie wären ja sicher dazu bereit,
haben aber zu wenig Zeit!"
"Und dann", spricht Liesel, und sie lacht,
"Papas bewegen sich nicht so sacht;
ich sah es neulich selbst mit an,
sie springen von der elektrischen Bahn,
laufen hinterher oft ganze Strecken -
da würde das Kindlein sich schön erschrecken!
Da ist's doch besser bei Mama.
Oh sieh mal, Hans! Da ist sie ja!"
Und beide hatten mich schon umschlungen,
rechts hab ich das Mädel und links den Jungen,
und als ich mich zuguterletzt
zu ihnen ins Schlummereckchen gesetzt,
spricht Liesel mit strahlendem Augenpaar:
"Mutti, was Hans sagt, ist das wahr?
Als ich ganz klein gewesen bin,
war ich da bei dir im Herzen drin?"
Fest schmiegt sie in meinen Arm sich hinein:
"Mutti, wie schön muss das gewesen sein!"

Kücken

 

 

 

SchneeSchneeDie Kinder im Schnee

Der Winterabend still und kalt.
Drei Kinder wandern durch den Wald.

Sie gingen schon oft den Weg allein, -
heut flimmert der Mond mit so irrem Schein.

Der Pfad, der sonst so kurz nach Haus,
heut führt er nimmer zum Wald hinaus.

Sie laufen zurück und hin und her,
sie finden im Schnee den Weg nicht mehr.

Die Kleinen weinen, sie wanderten weit;
kalt ist die Nacht und Schlafenszeit.

Sieh dort, unter Wurzeln ein trockenes Hohl,
da bettet die Schwester die beiden wohl,

trägt Moos und Laub zu ihrer Ruh'
und deckt mit dem eignen Tüchlein sie zu.

Kalt ist die Nacht, vom Mond erhellt, -
es funkeln die Sterne am Himmelszelt.

Man hat sie gesucht mit Rufen und Schrei'n;
man hat sie gefunden beim Morgenschein.

Die beiden Kleinen, sie schlafen fest,
aneinander geschmiegt im warmen Nest.

Die Schwester schlief im verschneiten Wald,
den Arm voll Moos, - erstarrt und kalt.

Heinrich Seidel (1842 - 1906)

 

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Sind so kleine Hände

Sind so kleine Hände, winz'ge Finger dran,
darf man nie drauf schlagen, die zerbrechen dann.
Sind so kleine Füße mit so kleinen Zeh'n,
darf man nie drauf treten, Könn' sie sonst nicht gehn.

Sind so kleine Ohren, scharf und ihr erlaubt.
Darf man nie zerbrüllen, werden davon taub.
Sind so schöne Münder, sprechen alles aus.
Darf man nie verbieten, kommt sonst nichts mehr raus.

Sind so klare Augen, die noch alles seh'n,
darf man nie verbinden, könn' sie nichts verstehn.
Sind so kleine Seelen, offen und ganz frei.
Darf man niemals quälen, geh'n kaputt dabei.

Ist so'n kleines Rückgrat, sieht man fast noch nicht.
Darf man niemals beugen, weil es sonst zerbricht.
Grade, klare Menschen wär'n ein schönes Ziel.
Leute ohne Rückgrat hab'n wir zuviel.

Bettina Wegner (* 1947)

 

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SonneSonne

"Sonne, gehst du schon wieder fort?
Was tust du hinter den Bergen dort?
Bleib doch ein Weilchen noch bei mir!
Es ist so schön im Gärtchen hier.
Ich bin so wach und munter doch,
ich möchte spielen und springen noch.
Wenn gehst, so kann ich nichts mehr seh'n,
muss gleich ins dunkle Bettchen geh'n."

Die Sonne sprach: "Mein liebes Kind,
dort hinter den Bergen auch Kinder sind.
Die lagen im Bettchen die ganze Nacht,
sind nun schon lange aufgewacht
und warten auf den Sonnenschein,
möchten auch in den Garten hinein
und spielen und laufen und springen, wie du.
Ade, mein Kind! Nun geh zu Ruh!"

Das Kind sprach: "Sonne, geh nur schnell
und mach das Gärtlein drüben hell!
Ich will nun gleich ins Bettchen geh'n."
Die Sonne rief: "Auf Wiederseh'n!"

Wolrad Eigenbrodt

 

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Tierchen

BieneBieneDas Mücklein an der Wand,
das Käferlein im Sand,
das Räuplein auf dem Laub,
das Würmlein in dem Staub:
Kind, schone ihr kleines, kurzes Leben,
du hast es ihnen nicht gegeben!
Lass spielen sie im Sonnenschein
und lustig wie du selber sein.

Friedrich Güll (1812 - 1879)

 

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Vom Büblein auf dem Eis

EisEisEis

Gefroren hat es heuer
noch gar kein festes Eis.
Das Büblein steht am Weiher
und spricht so zu sich leis:
"Ich will es einmal wagen!
Das Eis, es muss doch tragen." -
Wer weiß.

Das Büblein stampft und hacket
mit seinem Stiefelein.
Das Eis auf einmal knacket,
und krach! Schon bricht's hinein.
Das Büblein platscht und krabbelt
als wie ein Krebs und zappelt
mit Schrei'n.

"O helft, ich muss versinken
in lauter Eis und Schnee!
O helft, ich muss ertrinken
im tiefen, tiefen See!"
Wär' nicht ein Mann gekommen,
der sich ein Herz genommen,
o weh!

Der packt es bei dem Schopfe
und zieht es dann heraus,
vom Fuße bis zum Kopfe
wie eine Wassermaus.
Das Büblein hat getropfet,
der Vater hat's geklopfet
zu Haus.

Friedrich Güll (1812 - 1879)

 

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Was ein Kind gesagt bekommt
Brecht
Der liebe Gott sieht alles.
Man spart für den Fall des Falles.
Die werden nichts, die nichts taugen.
Schmökern ist schlecht für die Augen.
Kohlentragen stärkt die Glieder.
Die schöne Kinderzeit, die kommt nicht wieder.
Man lacht nicht über ein Gebrechen.
Du sollst Erwachsenen nicht widersprechen.
Man greift nicht zuerst in die Schüssel bei Tisch.
Sonntagsspaziergang macht frisch.
Zum Alter ist man ehrerbötig.
Süßigkeiten sind für den Körper nicht nötig.
Kartoffeln sind gesund.
Ein Kind hält den Mund.

Foto: Bertolt Brecht (1898 - 1956)