An den Winter
Willkommen, lieber Winter,
willkommen hierzuland!
Wie reich Du bist, mit Perlen
spielst Du, als wär' es Sand.
Den Hof, des Gartens Wege
hast Du damit bestreut,
sie an der Bäume Zweige
zu tausenden gereiht.
Dein Odem, lieber Winter,
ist kälter, doch gesund.
Den Sturm nur halt im Zaume,
sonst macht er es zu bunt.
Elisabeth Kulmann (1808 - 1825)
An eine Schneeflocke
Du triebst, vielleicht als kleiner Wassertropfen,
wer weiß, durch welches große Meer.
Und bist so alt wie alle Ozeane
und vor Erinnerungen schwer.
Und kamst, gepeitscht von Winterstürmen,
in unser Land
und glänzest, kleines Universum
und stirbst in meiner Hand.
Cosmus Flam (1899 - 1945)
Der Winterabend
der Arbeit und der Fröhlichkeit.
Wenn die andern nähen, stricken und spinnen,
dann müssen wir Kinder auch was beginnen;
wir dürfen nicht müßig sitzen und ruh'n,
wir haben auch unser Teil zu tun.
Wir müssen zu morgen uns vorbereiten
und vollenden unsere Schularbeiten.
Und sind wir fertig mit Lesen und Schreiben,
dann können wir unsere Kurzweil treiben ...
Und ist der Abend auch noch so lang,
wir kürzen ihn mit Spiel und Gesang.
Und wer ein hübsches Rätsel kann,
der sagt's, und wir fangen zu raten an.
Heinrich Hoffman von Fallersleben (1798-1874)
Entgegen
Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt,
und manche Tanne ahnt, wie balde
sie fromm und lichterheilig wird,
und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin - bereit
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.
Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)
Morgensonne im Winter
Auf den eisbedeckten Scheiben
fängt im Morgensonnenlichte
Blum' und Scholle an zu treiben ...
Löst in diamant'nen Tränen
ihren Frost und ihre Dichte,
rinnt herab in Perlensträhnen ...
Herz, oh Herz, nach langem Wähnen
lass auch deines Glücks Geschichte
diamant'ne Tränen schreiben!
Christian Morgenstern (1871 - 1914)
Wintermorgen vor Sonnenaufgang
O flaumleichte Zeit der dunklen Frühe!
Welch neue Welt bewegest du in mir?
Was ist's, dass ich auf einmal nur in dir
von sanfter Wolllust meines Daseins glühe?
Einem Kristall gleicht meine Seele nun,
den noch kein falscher Strahl des Lichts getroffen;
zu fluten scheint mein Geist, er scheint zu ruh'n,
dem Eindruck naher Wunderkräfte offen,
die aus dem klaren Gürtel blauer Luft
zuletzt ein Zauberwort vor meine Sinne ruft.
Bei hellen Augen glaub ich doch zu schwanken;
ich schließe sie, dass nicht der Traum entweiche.
Seh ich hinab in lichte Feenreiche?
Wer hat den bunten Schwarm von Bildern und Gedanken
zur Pforte meines Herzens hergeladen,
die glänzend sich in diesem Busen baden,
goldfarb'gen Fischlein gleich im Gartenteiche?
Ich höre bald der Hirtenflöte Klänge,
wie um die Krippe jener Wundernacht,
bald weinbekränzter Jugend Lustgesänge;
wer hat das friedensselige Gedränge
in meine traurigen Wände hergebracht?
Und welch Gefühl entzückter Stärke,
indem mein Sinn sich frisch zur Ferne lenkt?
Vom ersten Mark des heut'gen Tags getränkt,
fühl ich mir Mut zu jedem frommen Werke.
Die Seele fliegt, so weit der Himmel reicht,
der Genius jaucht in mir! Doch sage,
warum wird jetzt der Blick von Wehmut feucht?
Ist's ein verloren Glück, was mich erweicht?
Ist es ein Werdendes, was ich im Herzen trage?
- Hinweg, mein Geist! Hier gilt kein Stillesteh'n:
Es ist ein Augenblick, und alles wird verweh'n!
Dort, sieh, am Horizont lüpft sich der Vorhang schon!
Es träumt der Tag, nun sei die Nacht entflohn;
die Purpurlippe, die geschlossen lag,
haucht halbgeöffnet süße Atemzüge:
Auf einmal blitzt das Aug', und, wie ein Gott, der Tag
beginnt im Sprung die königlichen Flüge!
Eduard Mörike (1804 - 1875)