Das Wörtlein
Kürzlich kam ein Wort zu mir,
staubig wie ein Wedel,
wirr das Haar, das Auge stier,
doch von Bildung edel.
Als ich, wie es hieße, frug,
sprach es leise: "Herzlich",
und aus seinem Munde schlug
eine Lache schmerzlich.
"Wertlos ward ich ganz und gar",
riefs, "ein Spiel der Spiele,
Modewort mit Haut und Haar,
Kaviar für zu viele."
Doch ich wusch's und bot ihm Wein,
gab ihm wieder Würde,
und belud ein Brieflein fein
mit der leichten Bürde.
Schlafend hat's die ganze Nacht
weit weg reisen müssen.
Als es morgens aufgewacht,
kam ein Mund - es - küssen.
Christian Morgenstern (1871 - 1914)
Der Pflug
In einer Scheune lag versteckt
ein Pflug, schon ganz mit Rost bedeckt,
denn niemand gab mehr auf ihn Acht.
Er sah mit Neid und trüben Sinn
wenn, blank und glänzend, jede Nacht
sein Bruder von dem Felde kam.
Da fragte er mit trüben Sinn:
"Wie kommt's, dass ich so rostig bin,
indess du glänzest voller Pracht?
Bin ich nicht auch aus Stahl gemacht?"
"Sieh, lieber Freund", versetzte der,
"mein Glanz kommt von der Arbeit her."
Ein gutes Wort
SAG MORGENS MIR EIN GUTES WORT
BEVOR DU GEHST ZU HAUSE FORT.
ES KANN SO VIEL AM TAG GESCHEH'N
WER WEIß, OB WIR UNS WIEDERSEH'N
SAG EIN LIEBES WORT ZUR GUTEN NACHT
WER WEIß, OB MAN NOCH FRÜH ERWACHT.
DAS LEBEN IST SO SCHNELL VORBEI
NUR DANN IST ES NICHT EINERLEI
WAS DU ZULETZT ZU MIR GESAGT,
WAS DU ZULETZT HAST MICH GEFRAGT.
DRUMM LASS EIN GUTES WORT DAS LETZTE SEIN
BEDENK:
DAS LETZTE KÖNNT'S FÜR IMMER SEIN.
Schenken
Schenke groß oder klein,
aber immer gediegen.
Wenn die Bedachten die Gaben wiegen,
sei dein Herz rein.
Schenke herzlich und frei.
Schenke dabei, was in dir wohnt
an Meinung, Geschmack und Humor,
so dass die eigene Freude zuvor
dich reichlich belohnt.
Schenke mit Geist ohne List.
Sei eingedenkt,
dass dein Geschenk
du selber bist.
Joachim Ringelnatz (1883 - 1934)
Was kommt?
Ein neues Buch, ein neues Jahr,
was werden die Tage bringen?
Wird's werden, wie es immer war,
halb scheitern, halb gelingen?
Ich möchte leben, bis all dies Glüh'n
rücklässt einen leuchtenden Funken.
Und nicht vergeht,
wie die Flamm' im Kamin,
die eben zu Asche gesunken.
Theodor Fontane (1819 - 1898)