Das Weite über das Begrenzte hinaus fühlen
Der parkähnliche Garten auf dem Gelände der Nudelfabrik Schminkes wurde bereits 1918 angelegt. Seit dieser Zeit existierten wohl auch der große Teich mit 18 Metern Durchmesser und die kleinen Wasserkaskaden.
Historie
Im Jahr 1930 nimmt das Löbauer Fabrikantenehepaar Fritz und Charlotte Schminke Kontakt zum Architekten Hans Scharoun (1893 - 1972) auf. Nach seinem Entwurf lässt sich der Nudelfabrikant unmittelbar neben seinem Betrieb eine Villa errichten. 1933 ist der Bau fertiggestellt und die sechsköpfige Familie feiert am 31.05. Einzug.
Die Familie flieht 1945. Das Haus wird von der Roten Armee beschlagnahmt, Offiziere ziehen ein. Die Teigwaren-Fabrik wird 1946 enteignet.
Nach der Rückgabe des Hauses richtet Charlotte Schminke 1946 bis 1951 ein Erholungsheim für Kinder ein, deren Familien von den Bombenangriffen schwer getroffen waren.
1951 zog die Familie nach Celle.
Ab 1. Mai 1951 hat die Stadt Löbau das Gebäude gepachtet. In der Villa wird ein Klubhaus der Freie Deutsche Jugend (FDJ) errichtet. 1963 wird dieses wieder aufgelöst und stattdessen das "Haus der Pioniere" eröffnet.
Im Jahr 1978 wird das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt.
Die Stadt Löbau betreibt in der Villa nach der Auflösung des Pionierhauses von 1990 bis 1993 ein Freizeitzentrum für Kinder und Jugendliche.
Die Erbengemeinschaft verzichtet 1993 auf Rückführung. Das Haus geht in den Besitz der Stadt Löbau über.
Mit Wirkung 01.09.1993 geht die Einrichtung des Freizeitzentrums in den "Förderverein Freizeitzentrum e. V." über.
Mit Unterstützung der Wüstenrot Stiftung beginnen am 15. Juli 1999 umfangreiche Sanierungs- und Instandsetzungsarbeiten. Der Gesamtaufwand der Maßnahme beläuft sich auf 2,8 Mio. DM. Am 14. Dezember 2000 öffnet das Haus wieder seine Türen.
Der Verein bleibt auch nach der Sanierung Nutzer des Hauses und nennt sich fortan "Haus Schminke e. V."
Im November 2004 erhält der kleine Teich im Wintergarten der Villa eine sprudelnde Sandtsteinsäule, geschaffen von einer österreichischen Bildhauerin.
Bereits in den Bauplänen von 1930 war ein konkretes Modell für eine Springbrunnenskulptur vorgesehen. Jedoch fehlte dann das Geld für derartige Details.
Der Verein "Haus Schminke e. V." gibt das Haus zum 31.01.2006 zurück an die Stadt Löbau. Seit Februar 2006 ist das Haus wieder in alleiniger Trägerschaft der Stadt.
Der in den Fünfziger Jahren verfüllte Teich wird im April 2006 wieder frei gelegt und im September 2006 geflutet. (siehe Fotos)
Der Stadtrat beschließt auf seiner Sitzung vom 10.05.2007 einstimmig die Nutzungskonzeption für die "Stiftung Haus Schminke". Am 24. Mai 2007 wird die Stiftung ins Leben gerufen. Sie soll den Erhalt und die kulturellen Nutzung des international bedeutsamen Baudenkmals sichern. Gründungsmitglieder sind die Stadt Löbau und die Hess AG, Villingen-Schwenningen.
Architektur
Architekt Hans Scharoun entwickelte die Bauhaus-Idee der Funktionalität weiter, indem er geometrische Formen durch 'organisches Bauen' zu ersetzen versuchte. Die Prinzipien neuen Wohnens hat er mit den Wünschen und Gestaltungsvorstellungen der Familie Schminke verbunden und darauf zugeschnitten. Den Bedürfnisse des Bauherren nach einem familiären, fantasievollen und kinderfreundichen Haus mit einer angepassten Organisation der Raumfunktionen wurde Rechnung getragen. Vorzüge und moderner Komfort sind im für die damalige Zeit ungewöhnlich modernen Bau vereint.
Hervorgegangen aus den Ideen und Idealen der Kunstakademie Breslau konnte eine von den normalen Vorsellungen eines Einfamilienhauses völlig abweichende Gestaltung gewählt werden.
Die Grundform ist einem Schiffskörper mit seinen Aufbauten angepasst und hat gleichzeitig soziale Aspekte. Funktionalität und Beziehung der Räumlichkeiten und seiner Bewohner untereinander sowie die Einbeziehung des Gartengeländes in den Wohnbereich standen im Vordergrund. Das Konzept Licht, Luft und Sonne und der Verbindung von drinnen und draußen wird durch die Lichtfülle der großen Fensterfronten unterstützt. Für wohltemperierte Räume im Sommer und Winter sorgen Lüftungsklappen und Holzjalousien. Die langgestreckte Form und die Lage des Hauses wurden bewusst so gewählt, um eine gute Aussicht nach Norden und die optimale Aufnahme des Südlichtes zu ermöglichen.
- Prof. Hans Scharoun wählte 1960 für einen Katalog zwei von über 200 seiner Projekten aus. Das 1933 in Löbau fertig gestellte Haus Schminke hielt auch einer Überarbeitung und Korrektur seiner Fotografien im Jahr 1970 stand und verblieb im Katalog.
- Unter Anleitung Scharouns machte Fotografin Alice Kerling unmittelbar nach der Fertigstellung des Hauses am 5. und 6. August 1933 Aufnahmen ohne jegliche Spur von Bewohnern. Auch wenn die Fotos das Haus nicht vollständig beschreiben, sind sie authentischer Beleg dafür, wie die Villa ursprünglich ausgesehen hat. Neben der materiellen Existenz begründen die Fotografien von Kerling eine literarische Existenz des Hauses. In Büchern und Zeitschriften sind sie noch immer vertreten und haben das Haus weltberühmt gemacht.
- Über die Nachlassverwaltung von Prof. Schorun durch die Akademie der Künste in Berlin fand das Haus Schminke Eingang in die Literatur.
- Die Villa zählt heute zu den weltweit bedeutendsten Wohnbauten der klassischen Moderne. Sie gilt als Hauptwerk Schoruns im Bereich des privaten Wohnungsbaus und Marktstein in der Architektur des 20. Jahrhundert.
- Der Stahl-Skelett-Bau fehlt in keinem Architekturlexikon.
"Das Haus, das mir das liebste war, ließ sich der Fabrikant Schminke in Löbau in Sachsen bauen",
vermerkt Hans Scharoun 1967.
Sein Anspruch war es, "Die Weite über das Begrenzte hinaus fühlen".
Weitere bekannte Bauten des Architekten sind die Berliner Philharmonie, die Wohnsiedlung in Berlin-Siemensstadt und Charlottenburg, das Botschaftsgebäude der Bundesrepublik in Brasilien und das Wohnheim in seiner Wirkungsstätte Breslau. Sie alle zeugen von seiner Wertschätzung.
Nur drei Wohnbauten der klassischen Moderne gibt es auf der Welt. Eines steht in den USA, eines in Frankreich und eines - das einzige öffentlich zugängliche - in Löbau.
Das Schminke-Haus in Löbau gehört zu den vier herausragendsten Beispielen des "Neuen Bauens" und des "Internationalen Styles". Die anderen Bauten sind:
- Haus der Tugendhat von Mies van der Rohe in Brno (1931)
- Villa Syvoye bei Paris (1928/1929)
- Haus Kaufmann "Fallingwater" in Mill Run in Pennsylvania von Frank Lloyd Wright (1935 bis 1939)
Schminke
Fritz Schminke wurde am 09.11.1897 in Glauchau geboren. Sein Vater Wilhelm Schminke war Mitinhaber einer Textilfabrik. 1904 kaufte dieser die Löbauer Anker-Teigwarenfabrik "Loeser und Richter" und zog mit seiner Familie nach Löbau. Im gleichen Jahr wurde sein zweiter Sohn Joachim geboren.
Nach dem Abschluss der Realschule begann Fritz Schminke 1913 eine kaufmännische Ausbildung bei der Firma Thierbach in Dresden.
Wegen Erkrankung des Vaters übernahm Fritz 1918 kommisarisch die Leitung der Teigwarenfabrik. Nach dem Tod des Vaters im April 1920 wurde er im Alter von 22 Jahren endgültig Betriebsführer der Fabrik, die er gemeinsam mit seinem Bruder Joachim geerbt hatte. Die Mutter beider starb wenig später.
Fritz Schminke heiratete am 21. März 1922 Charlotte Orlamünder, eine gebürtige Magdeburgerin. Aus der Ehe gehen vier Kinder hervor: 1924 Sohn Harald, 1926 Tochter Anna Gertraude, 1929 Tochter Erika und 1930 Tochter Helga.
1926 bis 1930 engagierte sich Fritz Schminke als Stadtvorsteher für die "Bürgerliche Vereinigung".
Seit der Hochzeit wohnten Fritz und Charlotte im von den Eltern ebenfalls geerbten Haus Goethestraße 10. Mit der Rückkehr von Bruder Joachim nach der Lehre in Hamburg wurde das Haus zu klein. Joachim übernahm das Haus der Eltern und Fritz sollte ein neues Haus im Garten hinter der Fabrik bauen.
Der Neubau wurde am 31. Mai 1933 bezogen. Bereits 1934 zog der Sohn Schminkes nach Dresden, um dort sein Abitur zu absolvieren.
1939 wurden Vater und Sohn Harald zum Kriegsdienst einberufen. Der Sohn fiel am 21.12.1943 in Russland. Vater Fritz befand sich von 1945 bis 1948 in russischer Kriegsgefangenschaft.
Am 6. Mai 1945 heiratete Tochter Gertraude im Haus Schminke. Am nächsten Tag verließ die Familie ihr Heim und floh vor der Roten Armee.
Charlotte Schminke erhielt 1946 ihr Wohnhaus zurück und eröffnete darin aus existenziellen Gründen ein Erholungsheim für Kinder. Da die Teigwaren der Schminke-Fabrik auch an die Deutsche Wehrmacht geliefert wurden, galt die Familie als Kriegsverbrecher und wurde am 1. Juli 1946 enteignet.
Im April 1951 löste Charlotte Schminke das eingerichtet Heim wieder auf. Sie verließ die inzwischen gegründete DDR und zog zu ihrem Mann, der schon seit 1950 in Celle wohnte. Dieser hatte dort nach langer Krankheit und Arbeitslosigkeit bei seiner ehemaligen Konkurrenzfirma "Harry-Trüller-Werke" eine neue Arbeit gefunden.
Von Celle aus nahm Fritz Schminke wieder Kontakt mit Hans Scharoun auf. Er wurde mit der Planung eines neuen Wohnhauses in Celle beauftragt.
Den Bau verhinderten familiäre Gründe. Die Ehe Schminkes zerbrach nach der langen Zeit der Trennung und wurde 1953 geschieden.
Fritz Schminke starb in zweiter Ehe am 26. Mai 1971 in Celle, Charlotte Schminke 1976 in einem Altersheim in Goslar.
Scharoun
Bernhard Hans Henry Scharoun wurde am 20. September 1893 in Bremen geboren. Er wuchs in Bremerhaven auf, wo er 1912 das Abitur ablegte. Schon während seiner Schulzeit zeigte sich sein Interesse für Architektur. Erste Entwürfe entstanden im Alter von 16 Jahren, mit 18 nahm er erstmals an einem Architekturwettbewerb für die Modernisierung einer Kirche in Bremerhaven teil.
Bis 1914 studierte Scharoun an der Königlichen Technischen Hochschule zu Berlin (heute: Technische Hochschule in Berlin).
Er meldete sich 1914 freiwillig zum Dienst im Ersten Weltkrieg.
Nach dem Krieg gelangte er durch seinen früheren Berliner Mentor Paul Kruchen in ein Wiederaufbauprogramm für Ostpreußen. 1919 übernahm Scharoun als freier Architekt das Büro Kuchers in Breslau. Er realisierte dort und in Insterburg (heute: Tschernjachowski) zahlreiche Projekte und organisierte Kunstaussstellungen.
1919 schloss sich Scharoun dem expressionistischen Architektenkreis "Gläserne Kette" von Bruno Taut an. 1926 trat er der Architektenvereinigung "Der Ring" bei.
Hans Scharoun erhielt 1925 an der Breslauer Akademie für Kunst und Kunstgewerbe eine Professur und unterrichtete bis zu deren Schließung 1932.
Während des Nationalsozialsmus blieb Scharoun in Deutschland. Er baute nur einige Einfamilienhäuser, darunter das Haus Schminke.
Nachfolgende Häuser musste er nach außen den politisch bestimmten Bauvorschriften anpassen. Im Innern wurden die typischen Raumfolgen Scharouns beibehalten.
Scharoun war während des Krieges vorrangig mit der Beseitigung von Schäden beschäftigt. Architektonische Ideen und Visionen hielt er heimlich auf zahlreichen Aquarellen fest.
Nach dem Ende des Krieges wurde Hans Scharoun von den Aliierten zum Stadtbaurat und Leiter der Abteilung Bau- und Wohnungswesen des Magistrats benannt. In der Ruine des Berliner Stadtschlosses stellte er seine Vorstellungen des Wiederaufbaus von Berlin vor.
Im Jahr 1946 wurde Scharoun ordentlicher Professor an der Fakultät für Architektur an der Technischen Hochschule Berlin, Lehrstuhl und Institut für Städtebau.
Er konnte nach dem Krieg in exemplarischen Bauten sein Verständnis von Architektur verwirklichen, so z. B. in der Philharmonie von Berlin (1956 bis 1963). Alle Gebäude zeugen von einer überaus fantasivollen und sozial differenzierten Raumorganisation.
Das Gebäude der Deutschen Botschaft in Brasilien (1963 bis 1969) bleibt das einzige, das Scharoun außerhalb Deutschlands baute.
1954 wurde Scharoun Ehrendoktor der Technischen Universität Berlin, 1962 Ehrensenator.
Von 1955 bis 1968 war er Präsident der Berliner Akademie der Künste (West) und ab 1968 Ehrenpräsident.
Seit 1965 war Scharoun Ehrendoktor der Universität Rom.
Er war Gründungsmitglied der Paul-Hindemith-Gesellschaft in Berlin.
Scharoun wurde 1969 Ehrenbürger von Berlin.
Prof. Hans Scharoun starb am 25. November 1972 in Berlin.